Geschichten – Erlebnisse – Berichte
Eine taubblinde Frau sagte einmal: „Ich danke Gott für meine Hände. Mit meinen Händen kann ich durch das Lormen mich unterhalten, Lesen, die Welt kennen lernen und vieles mehr."
Oft ist es für uns selbstverständlich, dass wir unsere Hände gut gebrauchen können. Für taubblinde Menschen sind die Hände die Brücke zu anderen Menschen, zur Gemeinschaft, zum Leben. Folgende Geschichten geben einen kleinen Einblick.
Aus Vertrauen gewachsen
Ich denke über die Vielfältigkeit in unserem Dienst für taubblinde Menschen nach und bin von Herzen dankbar, dass die gelebte Liebe, die Zuwendung zum Einzelnen und die Verkündigung der Liebe Gottes zu taubblinden Menschen zusammen kommen kann. Dabei erinnere mich an die erste Begegnung mit Frau H. Sie ist gehörlos und sehbehindert. Ein Freund hat sie mit dem Auto gebracht, weil sie allein nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein kann. Ihr Sehrest reicht dafür nicht mehr aus. Wir setzen uns so, dass Frau H. gut meine Hände und mein Gesicht sehen kann, denn wir werden in Gebärdensprache miteinander sprechen. Sie hat viele Fragen mitgebracht. Zunächst aber erzählt sie mir, dass sie immer weniger sehen kann. Ihr Mann versteht es nicht, sondern macht ihr nur Vorwürfe. Am meisten leidet sie darunter, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren hat und im Haushalt viele Handgriffe nicht mehr allein schafft. „Ich habe Angst. Was wird, wenn ich ganz blind bin? Taub und blind, wie kann ein Mensch damit leben?!" Wir schweigen eine Weile. Ich frage mich selbst wieder aufs Neue – wie kann ein Mensch damit leben?
Dann beginne ich von unseren Gästen zu erzählen und lade sie ein, zu einem Tagestreffen zu kommen, das alle zwei Monate sonntags hier stattfinden.
Es ist Sonntagmorgen. Heute findet das Tagestreffen statt. Ich freue mich auf die Begegnungen, wenn taubblinde Menschen aus ganz Sachsen zu uns kommen. Ich freue mich mitzuerleben, dass bei uns taubblinde Freunde sich treffen und austauschen können. Auch Frau H. ist gekommen. Ich habe mir überlegt, mit wem kann sie gut ins Gespräch kommen? Mit wem kann die Verständigung klappen? Frau S. ist auch gehörlos und sehbehindert. Sie spricht auch Gebärdensprache und weiß, dass sie die Gebärden nur noch in einem kleinen Bereich sehen kann. Ich mache die beiden Frauen miteinander bekannt. Nach einer Weile sind sie im Gespräch vertieft.
Am Ende des Tages feiern wir Gottesdienst. Frau H. hat bisher den christlichen Glauben noch nicht kennen gelernt. Aber durch die besondere Atmosphäre der Gemeinschaft erlebt sie den Gottesdienst gern mit. Am Ende des Tages verabschiedet sie sich mit der Zusage: „Ich möchte wiederkommen. Heute war ich nicht einsam."
Von da an haben wir regelmäßig Kontakt miteinander. Wir helfen ihr, Anträge für wichtige Hilfen zu stellen. Frau H. erlebt, dass es Menschen gibt, die an ihrer Seite stehen, die sie Schritt um Schritt auf einen neuen Weg begleiten. Mich beschäftigt das sehr – wieviel bedeutet so eine Begegnung für den Einzelnen! Ich bin dankbar für unseren Dienst. Ich bete, dass sie erfahren kann, Gott selbst steht an ihrer Seite. Ich bete, dass sie Gott kennenlernen kann – ihr Licht und ihre Hilfe, auch wenn ihr Weg dunkel ist.
Im Garten der Düfte
Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich noch den würzigen Duft von Harz in meiner Nase. Mit unseren taubblinden Gästen waren wir im Gartengelände unterwegs und haben den Kiefernweg kennen gelernt. Dieser Weg wurde in den vergangenen Monaten mit vielen verschiedenen kleinen Nadelgehölzen auf einem Hochbeet bepflanzt. Wir haben Bäumchen für Bäumchen mit den unterschiedlichsten Nadelformen und Zapfen ertastet – stehende und hängende Zapfen, schlanke und dicke, dicht nebeneinander oder sehr vereinzelt gewachsen. In den Ästen mit weichen Nadeln waren wir lange mit unseren Händen unterwegs. Bei harten Nadeln haben wir nur behutsam uns einen Eindruck verschafft. Die Zwergarten lassen gut die Gesamtform des Baumes erkennen – die Mädchenkiefer in ihrem buschigen Wuchs, die Zirbelkiefer wächst schlank nach oben.
Am Ende des Weges bleiben wir stehen und staunen über die Vielfalt, die wir gerade in den Händen hatten, eine Vielfalt, die dennoch nur ein winziger Ausschnitt der Schöpfung ist. Eine Person sagt: „Dieser Weg ist toll und so richtig gut für uns zum Fühlen angelegt! Hier werde ich oft hingehen." Während wir zurück zum Haus gehen, beschäftigt mich ein Gedanke. Ich weiß, dass ich nur ahnen kann, wie viel Schönheit taubblinden Menschen verborgen bleibt, wie ihnen die freie Bewegung in der Natur fehlt und wie viel Sehnsucht deshalb in ihnen ungestillt bleibt. Ich denke an die verschiedenen Personen, die jetzt unsere Gäste sind. Für einige von ihnen ist es hier in unserem 20.000 qm großen Botanischen Blindengarten die einzige Möglichkeit im Jahr, die Pflanzen mit ihren Düften, Formen, Tastqualitäten zu erleben. Ich bin dankbar, dass ich immer mehr die vielfältigen Möglichkeiten der Sinneswahrnehmung mitbekomme und die Freude mit ihnen gemeinsam erlebe. Ich bin dankbar, dass Gott uns diesen Garten anvertraut hat.
Begegnung im Garten
Gerade erinnere ich mich an einen Nachmittag im September. Eine Gruppe gehörloser Besucher schaut sich den Botanischen Blindengarten an. Dabei begegnen sie einer taubblinden Spaziergängerin im Garten. Sie hätten sich gern mit ihr unterhalten, nur wussten sie nicht, wie sie mit ihr sprechen könnten. An der großen Glocke halten sie an, schlagen mit dem Klöppel die Glocke an und staunen über die starke Schwingung. Eine Frau sagt: „Diese Glocke mit ihren Schwingungen verbindet Menschen hier im Gelände, auch wenn sie nicht miteinander kommunizieren können. Einer kann den Klang Hören, andere können sie sehen und die Aufschrift lesen: ‚Jesus Christus – gestern und heute und derselbe in Ewigkeit'. Gemeinsam können wir sie fühlen."
Etwas später stehen sie gemeinsam mit der taubblinden Frau an den Hochbeeten und freuen sich an den verschiedenen Düften. Den Kontakt hatte ich herstellen können, indem ich der taubblinden Frau mit Hilfe des Lormens von den Besuchern erzählte. Aus dem Interesse aneinander entstand ein lebhaftes Gespräch in Gebärdensprache, die die taubblinde Frau taktil aufnehmen konnte. Eine Begegnung, die alle erfreut hat.
Was verbindet uns? – Diese Frage beschäftigte die gehörlose Besucherin. Das gemeinsame Fühlen von Schwingungen, das gemeinsame Erleben der vielfältigen Duftpflanzen waren eine hilfreiche Brücke zu einer echten Begegnung. Die Zeit war dann viel zu schnell vorbei. Bei der Verabschiedung sagte mir die Besucherin: „Danke, dass Sie den Kontakt hergestellt haben. So wurde für mich das Erleben Ihres Gartens nicht nur eine Freude für meine Sinne, sondern öffnete mir das Verständnis dafür, was dieser Garten taubblinden Menschen bedeuten kann. Ich hoffe, dass ich einmal wiederkommen kann."
Was verbindet uns? – Über die Hand ist so vieles möglich, sie ist die Brücke zum Leben, zu Gemeinschaft. Dafür brauche ich Zeit. In der Begegnung mit taubblinden Menschen kann man sich nicht im Vorbeigehen ein Wort zurufen. Ich muss stehen bleiben, wir müssen uns einander zuwenden.
Ich denke an die Arbeit der verschiedenen Mitarbeiter. Immer wieder müssen wir uns gegenseitig erinnern, dass nicht Geschäftigkeit uns treibt, sondern wir bewusst innehalten und uns auf das ganz andere Zeitmaß einstellen. Dann werden wir dankbar erfahren, dass diese kleinen Gespräche erfüllte Zeiten sind.
Fröhliche Feste
„Bitte reservieren Sie für mich den großen Raum im Spatzenhof. Ich möchte meinen runden Geburtstag dort feiern." So hatte mich ein taubblinder Mann aus Radeberg gebeten. Dieser Tag wurde ein fröhliches Fest mit vielen Gästen.
Der Mitarbeiter, der ihn im Alltag begleitet, hat ihn in der Vorbereitung beraten, gemeinsam mit ihm geplant und ihn unterstützt. Eine Mitarbeiterin aus der Hauswirtschaft hat die Kaffeetafel festlich gedeckt, andere Mitarbeiter aus der Küche kochten Kaffee und wuschen das Geschirr ab.
Ein ehrenamtlicher Helfer holte einen hörsehbehinderten Freund mit dem Auto ab und brachte ihn auch wieder nach Hause – eine Fahrt von jeweils 250 km. Alleine hätte der Freund nicht anreisen können. Überraschungsgäste waren plötzlich zum Kaffeetrinken gekommen, und es gab eine sehr herzliche Begrüßung. Sie hatten sich bei einer Mitarbeiterin angemeldet, da sie gern im Storchennest übernachten wollten. Es war ein fröhlicher Austausch mit Hilfe des Lormens, der Gebärden und der Hörgeräte.
„Es war ein wirklich schöner Tag für mich! Ohne das Storchennest mit seinen Mitarbeitern und der ehrenamtlichen Hilfe hätte ich dieses Fest nicht feiern können." – So lautet das Resümee.
Ich denke zurück an die Silberhochzeit eines taubblinden Ehepaares. Die Familie und die Taubblinden aus dem Ambulant Betreuten Wohnen waren eingeladen. Das Kaffeetrinken wurde mit einer Rede des Ehepaares eröffnet und gab einen kleinen Einblick in die Zeit, als beide noch sehen konnten. Diese Rede hat ein Mitarbeiter gemeinsam mit dem taubblinden Mann vorbereitet, ihn beraten, wie man so etwas macht. Höhepunkt des gemeinsamen Nachmittages war eine Andacht mit der Segnung des Ehepaares. Vor 25 Jahren war ihre Hochzeit nur im Standesamt, ohne Segenszuspruch.
Während ich darüber nachdenke, freue ich mich an diesen Möglichkeiten unserer Einrichtung. Wie viele Chancen haben wir, taubblinde Menschen zu erfreuen, ihnen mit Liebe zu begegnen, ihnen Türen zum Leben zu öffnen und ihnen die Nähe und die Liebe Gottes zu verkündigen.
Advent
Es ist Advent. Hier im Gästehaus ist eine große Pyramide aufgestellt. Am Nachmittag, wenn es draußen dunkel wird, schalten wir ihr Licht ein. Ein Schnitzer aus dem Erzgebirge hat diese Pyramide gebaut. Die Figuren der Weihnachtsgeschichte sind etwa 35 cm groß und auf drei Etagen angeordnet. Ich denke an unsere Gäste, die jedes Jahr zu unserer Weihnachtsrüstzeit kommen. Es sind taubblinde Menschen, die niemanden haben, der mit ihnen gemeinsam Weihnachten feiert. Einer von Ihnen liebt es, mit den Händen die Figuren ertasten und zu erkennen, ob es ein Hirte oder einer der drei Könige ist. Auch der andere Weihnachtsschmuck wird wahrgenommen. Wichtig ist dabei, dass die geschmückten Zweige so in der Vase stehen, dass die taubblinden Gäste keine Sorge haben, etwas herunterzureißen. Behutsam werden die Engel mit den verschiedenen Instrumenten in die Hand genommen. So kommen Freude und Geborgenheit zusammen.
Am Heiligen Abend werden wir die Krippenfiguren herumreichen und die Weihnachtsgeschichte lesen. Durch das Fühlen der Figuren und das Hören des Wortes wird für jeden einzelnen die Weihnachtsbotschaft lebendig: Jesus, der Retter ist da. Sein Licht leuchtet in der Finsternis und macht unsere Herzen hell.
Die taubblinde Frau Helen Keller hat sehr bewusst in ihrem schweren Leben am Glauben festgehalten. In Vertrauen auf Gott wurde sie dankbar. Sie schreibt: „Ich trage in meinem Herzen ein wunderwirkendes Licht. Der Glaube erleuchtet meinen Weg. Dazu haben wir den Glauben, dass wir die Herzen tapfer und hochgemut erhalten. Ich darf nicht fragen: Warum? Heilig ist Gottes Geheimnis uns. Wir dürfen es nicht erspähen. Eins aber ist mir bewusst: Bei ihm ist Kraft. Bei ihm ist Weisheit."