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Ein Einblick in die Lebenswelt taubblinder Menschen

KommunikationsmöglichkeitenUnser Ausflug ins Storchennest 
Ein Einblick in die Lebenswelt taubblinder Menschen

Ich glaube, wir kennen das alle. Manchmal geht uns unsere Sehbehinderung schon mächtig auf den Zeiger und ich finde, man darf sich über die Einschränkungen auch durchaus mal richtig ärgern. Schließlich ist solcherlei Ärger meist der effektivste Antrieb, Änderungen zu bewirken. Aber wie geht es Menschen in unserer Gesellschaft, denen zusätzlich zur Sehbehinderung auch noch der Hörsinn fehlt? Mich darüber näher zu informieren, hatte ich Gelegenheit, als ich mit 3 Freunden am Tag der offenen Tür, dem 30.04.2017, das Storchennest in Radeberg besuchte - eine Einrichtung, die sowohl tagesstrukturierende Maßnahmen, als auch ambulant betreutes Wohnen für derzeit 14 taubblinde Menschen anbietet. Wir waren ca. 4 Stunden dort, haben uns umgesehen und viel Spannendes, aber auch Bedenkliches erfahren.
Zunächst aber einmal zu dem Herrlichen, weitläufigen Storchennestgelände. Es beinhaltet einen großen Garten, der mit Handläufen und Leitsystemen ausgestattet ist. Die Handläufe enthalten Beschriftungen in Braille zur Orientierung, welche zum Beispiel auf Tierplastiken hinweisen, die überall im Gelände aufgestellt sind. Natur wird so erlebbar gemacht. Dazu dienen auch die zum Teil vorhandenen Beschriftungen der Pflanzenschilder in Braille. Außerdem gibt es ein großes Gewächshaus, u.a. mit einer beachtlichen Kamelienauswahl und tropischen Vögeln. Insgesamt haben wir das Gelände als einen sehr schönen Ort erlebt, an dem man sich entspannt wohl fühlen und vieles entdecken kann. Für taubblinde und blinde Gäste ist dies übrigens nicht nur an Tagen der offenen Tür möglich, man kann sich im Storchennest auch ein Zimmer für ein paar ruhige Urlaubstage reservieren.
Die 20 hauptamtlichen Mitarbeiter bemühen sich, jeden einzelnen Nutzer der Einrichtung so zu unterstützen, wie es für ihn am besten ist. In den tagesstrukturierenden Angeboten werden praktische Dinge für die Einrichtung hergestellt, der Garten in Schuss gehalten, Geschenkideen für Taubblinde entwickelt und umgesetzt... Der Möglichkeiten gibt es viele und es wird darauf geachtet, dass sich die Nutzer hier zu Hause fühlen. Ein solches Umfeld ist nämlich der ideale Nährboden für Kreativität und Neugier, die beste Motivation, aktiv zu werden. Einige der Ergebnisse konnten wir auf dem kleinen Basar begutachten und erwerben, aber im Grunde zeugt die ganze Einrichtung von den Aktivitäten ihrer Nutzer.
Den Gästen wurde an diesem Tag auch Selbsterfahrung in einem Dunkelraum geboten, in dem verschiedene Aufgaben wie Hemden zusammenlegen oder Wasser eingießen blind erledigt werden mussten. Und wir bekamen einen Einblick ins Lormen, eine der Verständigungsmöglichkeiten für Taubblinde. Hierbei wird jeder Buchstabe durch eine Geste dargestellt, die auf der Hand des Gegenübers ausgeführt wird. Sie kann aus einem Streichen, einem Druck, einem Tippen oder mehrfachem Tippen an verschiedenen Stellen der Hand bestehen. Quasi noch einmal ein ganz anderes, zusätzliches Alphabet, das insbesondere spätertaubte Blinde da erlernen müssen.
Eine Bewohnerin hat außerdem Hilfsmittel gezeigt, mit denen sie sich ihren Alltag erleichtert. Die meisten davon kannten wir. Auch gab es eine Führung zum ambulanten Wohnen, der wir jedoch aus Zeitgründen nicht beiwohnen konnten. Das Programm war abwechslungsreich und vielseitig und wir haben sehr lebensfrohe und aufgeschlossene Menschen erlebt. Das Storchennest ist ein wirklich schöner Ort, aber man muss sich bewusst sein, dass es eine Insel ist. Allein, dass in Radeberg deutschlandweit die einzige Einrichtung existiert, in deren Rahmen den Taubblinden ein selbständiges Wohnen in eigenen Wohnungen angeboten wird, ist hierfür bezeichnend.
Taubblinde haben kaum eine Lobby, da ihre Anzahl noch viel geringer ist als die der Blinden oder Gehörlosen. Es werden kaum spezielle Hilfsmittel für sie hergestellt - selbst, wenn es gute Entwicklungen gibt, scheitert es oft an den Kosten. Die Mobilität ist noch wesentlich eingeschränkter als bei Blinden, ein selbständiges Fortbewegen im Straßenverkehr ohne Begleitperson ist kaum möglich. Inzwischen gibt es eine Qualifizierung für Taubblindenassistenten, aber diese steckt noch in den Kinderschuhen, und bis jetzt sind nicht wirklich Assistenten verfügbar. Von der Frage der Kostenzuständigkeit mal ganz abgesehen... Erst Ende 2016 wurde ein eigenes Merkzeichen für Taubblinde im Schwerbehindertenausweis eingeführt, und nur ganz langsam wird ein Leistungskatalog für dieses neue Merkzeichen entwickelt. Die Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben sind für Taubblinde also sogar hinsichtlich entsprechender gesetzlicher Regelungen noch lange nicht auf dem Stand wie für unsere Zielgruppe, von den Barrieren in den Köpfen mal ganz abgesehen. Das Buch "Wenn einem Hören und Sehen vergehen" von Ursula Benard (Leider nur als E-book verfügbar) zeigt die Entwicklung seit Anfang der 2000er Jahre bis Mitte 2016 auf, und ich war nach dem Lesen wirklich beschämt. Für unser Land, das sich so hoch entwickelt wähnt, aber auch für mich selbst, die ich mich manchmal über meine behinderungsbedingten Nachteile so aufrege... Wie gut, dass es doch einige Engagierte wie die Bewohner und Mitarbeiter im Storchennest gibt, die sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen. Diese Einrichtung ist auf jeden Fall Unterstützung und einen Besuch wert. Wer sich näher informieren will, kann das gern unter www.taubblindendienst.de im Internet tun.
Fanny Bui